Aktives Zuhören ist eine der Führungsqualitäten, die jede Führungskraft beherrschen sollte. Doch gerade in Mitarbeitergesprächen zeigt sich ein anderes Bild. Nicht selten gestaltet der Vorgesetzte 80% der Redezeit und überlässt dem Mitarbeiter den kümmerlichen Rest. Eine vertane Chance, um zu hören, was der Mitarbeiter braucht, was er möchte und was ihn ausmacht. Aktives Zuhören bedeutet nicht, wohlwollend mit dem Kopf zu nicken und bestätigende Laute von sich zu geben. Aktivem Zuhören geht ein bewusstes Hören wollen und Hinhören voraus. Eine Haltung, die sich ganz auf den Mitarbeiter konzentriert und innerlich frei ist, auch wirklich das zu hören, was das Gegenüber sagt. Eine wahre Künstlerin des aktiven Zuhörens ist Momo - die Romanfigur in Michael Endes gleichnamigem Buch. Möchte man mehr über das aktive Zuhören lernen, dann empfiehlt es sich, bei Momo in die Lehre zu gehen. Lesen Sie selbst*:
[...] Und so kam es, dass Momo sehr viel Besuch hatte. Man sah fast immer jemand bei ihr sitzen, der angelegentlich mit ihr redete. Und wer sie brauchte und nicht kommen konnte, schickte nach ihr, um sie zu holen. Und wer noch nicht gemerkt hatte, dass er sie brauchte, zu dem sagten die anderen: "Geh doch zu Momo!"
Aber warum? War Momo vielleicht so unglaublich klug, dass sie jedem Menschen einen guten Rat geben konnte? Fand sie immer die richtigen Worte, wenn jemand Trost brauchte? Konnte sie weise und gerechte Urteile fällen?
Nein, das alles konnte Momo genauso wenig wie jedes andere Kind. Konnte Momo dann vielleicht etwas, das die Leute in gute Laune versetzte? Konnte sie zum Beispiel besonders schön singen? Oder konnte sie irgendein Instrument spielen? Oder konnte sie – weil sie doch in einer Art Zirkus wohnte – am Ende gar tanzen oder akrobatische Kunststücke vorführen?
Nein, das war es auch nicht.
Konnte sie vielleicht zaubern? Wusste sie irgendeinen geheimnisvollen Spruch, mit dem man alle Sorgen und Nöte vertreiben konnte? Konnte sie aus der Hand lesen oder sonst wie die Zukunft voraussagen?
Nichts von alledem.
Was die kleine Momo konnte wie kein andere, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder.
Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.
Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie im ihm stecken.
Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war.
So konnte Momo zuhören!
*Aus: Michael Ende: Momo, Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Neuausgabe 2005.